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Traktoren, 09.07.2013

WEINBAUTRAKTOREN HABEN MEIST VIELE VÄTER

Die Strukturen auf dem Schleppermarkt waren Thema einer Diplomarbeit an der Forschungsanstalt Geisenheim.
Die Strukturen auf dem Schleppermarkt waren Thema einer Diplomarbeit an der Forschungsanstalt Geisenheim. Besondere Berücksichtigung fanden dabei Bauteile und Baugruppen, welche von den verschiedenen Herstellern in identischer oder ähnlicher technischer Spezifikation zugekauft werden.
Der Weinbauschlepper ist Kernelement der Maschinenausstattung im weinbaulichen Außenbetrieb. Demzufolge gilt es, die Investitionsentscheidung für ein solch langlebiges und kapitalintensives Wirtschaftsgut entsprechend sorgfältig vorzubereiten und abzuwägen. Hierzu ist es erforderlich, Besonderheiten des Schleppermarktes zu kennen sowie technische Spezifikationen einzelner Hersteller bewerten zu können. Besondere Bedeutung gewinnt dieser Umstand vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verflechtung zwischen den jeweiligen Schlepperherstellern und deren verschiedenen Zulieferbetrieben.
 

Methodik

Im Rahmen der Untersuchung erfolgte zunächst eine Auswahl und Klassifikation verschiedener Schlepperhersteller. Die Auswahl orientierte sich an der Zulassungsstatistik für Schlepper des Jahres 2009, die Klassifikation an der Unternehmensform der Hersteller (Einzelunternehmen, Unternehmen in einem Konzernverbund).
Im nächsten Schritt erfolgte die Festlegung von Zukaufskomponenten, welche beim Bau landwirtschaftlicher Zug- und Arbeitsmaschinen typischerweise Verwendung finden.
Zur Datenerhebung wurde auf Fragebögen und auch persönliche Interviews zurückgegriffen. Ansprechbzw. Interviewpartner in diesem Zusammenhang waren neben den jeweiligen Herstellern selbst auch deren Vertriebspartner und Vertragshändler. Wesentliches Ziel der Marktsondierung war die Beantwortung folgender Fragestellung:
„Welche der zuvor definierten Bauteile werden von welchem Hersteller zugekauft und in welchem Umfang in den gefertigten Traktoren verwendet?"
 

Die Ergebnisse

Die folgende Ergebnisdarstellung berücksichtigt insbesondere die Baugruppen Antriebsstrang (Motor, Getriebe, Achsen), Elektroniksystem und Hydraulikanlage. Weitere Untersuchungsergebnisse (Einspritzsystem, Sonderausstattung,
Kabine) werden nicht gesondert diskutiert, allerdings im Sinne der Vollständigkeit tabellarisch dargestellt.
Etwa die Hälfte der ausgewählten Schlepperhersteller ist einzelunternehmerisch tätig. Die übrigen sind einem Unternehmenszusammenschluss zugehörig - in diesem Zusammenhang sind AGCO, Case-New Holland (CNH), Same-Deutz-Fahr (SDF), ARGO und BCS Agri (BCS) zu nennen.
Die Abbildung gibt einen Überblick über die komplexe Vernetzung der einzelnen Schlepperhersteller und Zulieferer untereinander. Dargestellt ist ebenfalls eine eventuelle Konzernzugehörigkeit.
 

1. Antriebsstrang

Motor
Der Antriebsstrang eines Fahrzeugs umfasst sämtliche technischen Komponenten zur Übertragung des Drehmoments vom Motor bis auf die Straße. Besonders betrachtet werden nachfolgend die zentralen Bauteile Motor, Getriebe und Achsen.

Aktueller Stand der Technik bei Weinbautraktoren sind, hersteiler- und modell abhängig, kompakte Drei-und Vierzylindermotoren.
Typisch für die verwendete Motorentechnik ist die Leistungsanpassung innerhalb einer Modellreihe durch Veränderungen der Einspritzanlage oder durch zusätzliche Turboaufladung. Der Motor bleibt in seiner Grundkonfiguration hierbei weitestgehend unverändert.
 

Problem Abgasreduzierung

Im Hinblick auf Vorgaben des Gesetzgebers zur Verbrennungsqualität und zum Schadstoffausstoß steht die Motorentechnik aktuell vor bedeutsamen Herausforderungen. Konkret gilt es, ab Ende des Jahres 2011 die Abgasstufe HIB im Bereich der gängigen Leistungsklasse von 56 bis 75 kW (76 bis 102 PS) einzuhalten. Mit Gültigkeit der neuen Abgasstufe geht die Verpflichtung einer nochmals deutlichen Verminderung des Rußpartikel- und Stickoxidausstoßes einher.
Im Zuge dieser Anpassung ist zu beobachten, dass die Motorenhersteller zunehmend auf die Technologien Harnstoffeinspritzung oder den Einbau von Rußpartikelfiltern zurückgreifen. Aufgrund der räumlich stark eingeschränkten Platzverhältnisse im Schmalspur-i Schlepper stellen beide Varianten die Schlepper- bzw. Motorenhersteller vor große Herausforderungen. Zukünftig wird es unvermeidbar sein, zusätzliche Aggregate im Motorenbereich unterzubringen. Spätestens mit Inkrafttreten der nächsten, vorläufig endgültigen Abgasstufe IV (in 2014) erscheint der Einsatz zusätzlicher Abgasreinigungstechnologien unumgänglich.
Von den interviewten Schlepperherstellern werden derzeit Motoren von sieben verschiedenen Herstellern, bzw. Zulieferern verwendet. Die großen Unternehmen AGCO, John Deere, SDF oder CNH greifen hierbei auf eigene Motoren beziehungsweise konzerninterne
Entwicklungen zurück. Die übrigen Hersteller bedienen sich zugekaufter Motoren verschiedener Herkunft.

Getriebetechnik
Die Auswahl der Getriebetechnologie zeigt direkt Auswirkungen auf die Fahreigenschaften und den Fahrkomfort. Die Herstellerbefragung zeigt, dass elf der befragten Hersteller die benötigten Getriebe im eigenen Haus fertigen. Sieben Befragte greifen auf Getriebetechnik aus dem Hause Car-raro zurück. Interessanterweise befindet sich hierunter mit Massey Ferguson auch ein ansonsten konzernorganisierter Hersteller. Es zeigt sich ein dahingehender Trend, dass konzernorganisierte Hersteller die erforderlichen Bauteile weitestgehend in Eigenregie fertigen beziehungsweise von eigenen Produktionssparten innerhalb des Gesamtkonzerns herstellen lassen.
Die gängigen Getriebevarianten reichen vom synchronisierten Schaltgetriebe über verschiedene Lastschaltgetriebe bis hin zur stufenlosen Variante. Seit der Übernahme bzw. Anpassung des bekannten Vario-Getriebekonzept der Firma Fendt auf die 200er Baureihe im Jahr 2009 sind sämtliche Traktoren dieses Herstellers ausschließlich mit stufenloser Getriebetechnologie erhältlich.
Stufenlose Getriebe bieten praktische Vorteile und verbessern die Arbeitsbedingungen im Weinbau. Damit lässt sich eine optimal an den jeweiligen Arbeitsvorgang angepasste Fahrgeschwindigkeit und Motordrehzahl wählen. Das Konzept erlaubt es, abhängig von den jeweiligen Einsatzbedingungen, eine wesentliche Kraftstoffeinsparung zu erreichen. Bei Arbeiten in Hang- und Steillagen ist die Standfestigkeit durch einen kontinuierlichen Kraftschluss zwischen Antriebsrädern und Untergrund sowie durch das Fehlen von Kuppel- und Schaltvorgängen erhöht.


Achsen
Sieben Hersteller beziehen ihre benötigten Achsen aus dem Hause Carraro. Damit nimmt Carraro neben der Getriebefertigung auch im Bereich der Schmalspurach-
sen eine bedeutende Rolle als Zulieferer ein. Die Hersteller Krieger, Dexheimer, Claas, Massey-Ferguson, John Deere und Sauerburger, teilweise auch CASE IH und Bergmeister werden von Carraro beliefert. Dexheimer verwendet nach eigener Auskunft zusätzlich Achsen des Herstellers ZF. Die übrigen Hersteller fertigen die Achsen in Eigenregie beziehungsweise greifen jeweils nur auf Vorderoder Hinterachsen von Fremdherstellern zurück. Insbesondere konzernorganisierten Hersteller verfügen somit über die Möglichkeit, komplette Antriebsstränge unabhängig von anderen zu fertigen.
 

2. Elektroniksysteme


Komplexe Elektroniksysteme zur Fahrerentlastung, Effizienzsteigerung oder Erledigung von Dokumentationsaufgaben werden immer wichtiger. Aufgrund der vielschichtigen Systeme bedienen sich die Schlepperhersteller etlicher Zulieferunternehmen, u. a. Bosch, Magnetti Marelli, Leoni, Wurth und SCAM. John Deere, Landini, Carraro und Lindner verzichten auf den Zukauf von Elektroniksystemen und erstellen diese in Eigenregie.
Zukünftig ist davon auszugehen, dass moderne Schlepper eine weitere Elektrifizierung erfahren wer-
den. Resultieren wird hieraus eine weitere Fahrerentlastung durch verstärkte Automation von Bedienvorgängen, analog zur Flächenlandwirtschaft. Darüber hinaus dienen elektrische Systeme zunehmend auch dem Antrieb von Anbaugeräten. Die erforderliche elektrische Energie wird hierzu über angebaute oder direkt in den Antriebsstrang integrierte Generatoren erzeugt.
 

3. Hydraulik


Im Segment der Sonderkulturen werden besondere Anforderungen an eine leistungsfähige und vielseitige Hydraulikanlage gestellt. Die Mehrzahl der im Weinbau verwendeten Arbeitsge-
räte erfordert inzwischen hydraulische Antriebsleistung für Antrieb und/oder Steuerung. Insbesondere der hydraulische Antrieb von Arbeitsgeräten stellt hohe Anforderungen an die hydraulische Antriebsleistung des Schleppers.
Die Zulieferer Bucher, Bosch und Sauer Danfoss rüsten nach Auswertung der Befragung die Fahrzeuge von insgesamt sieben Traktorenherstellern mit Hydraulikanlagen aus.
Moderne Schmaltraktoren liefern bei 160 bis 190 Bar Arbeitsdruck eine Fördermenge (bei Serienausstattung) von 25 1/min bis zu 821/min. Auf Wunsch erhältliche Pumpen erzeugen einen Volumenstrom bis etwa 110 1/min. Die leis-tungsfähigsten Hydrauliksysteme stellen zum Zeitpunkt der Auswertung die Hersteller Fendt, John Deere, New Holland, Landini und Claas zur Verfügung (106 1/min bis 85 1/min).
 

Fazit

Auf Seiten der Schlepperhersteller ist eine zunehmende Konzentration, hin zu einer konzernorientierten Unternehmensform, festzustellen. Ein wesentlicher Grund hierfür ist der oftmals unverhältnismäßig hohe Entwicklungs- und Fertigungsaufwand, insbesondere bei Kleinserien, wie sie im Bereich landwirtschaftlicher Spezialmaschinen häufig anzutreffen sind. Technische Weiterentwicklungen und Verbesserungen machen es erforderlich, Forschungsund Entwicklungskosten über genügend hohe Absatzzahlen zu amortisieren.
Die Ansprüche an einen modernen und leistungsfähigen Schmalspurschlepper wachsen gleichzeitig kontinuierlich. Vor dem Hintergrund einer nach wie vor rasanten technischen Entwicklung im Bereich der Landtechnik stehen die Traktorenhersteller großen Anforderungen sowohl seitens der Kunden als auch der gesetzgeberischen Instanzen gegenüber.
Der Zukauf einzelner Komponenten erlaubt es den Produzenten, flexibel auf
sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren. Die Unterhaltung eigener hochspezialisierter Fertigungsprozesse kann somit entfallen. Andererseits zeigt sich gerade bei konzernorientierten Herstellern die Tendenz, über die eigentliche Schlepperproduktion hinaus möglichst viele Produktvorstufen in einem gemeinsamen Unternehmen zu bündeln. Ein effizientes und zielorientiertes Management der Produktionskette, insbesondere zur Sicherung einheitlicher Qualitätsstandards, erlangt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die angedeuteten Konzentrations- und Verlagerungsprozesse auf die weitere Entwicklung des Schleppermarktes auswirken. Grundsätzlich ist eine Vielzahl von unmittelbar am Marktgeschehen beteiligten und konkurrierenden Herstellern zu begrüßen. Diese sichern durch konkurrierendes Handeln den zukünftigen technischen Fortschritt und sind Gewähr für weitere zukunftsweisende Innovationen.
 

Medium

 
  • Die Forschungsanstalt Geisenheim ist eine der ältesten Forschungseinrichtungen des Wein- und Gartenbaus im deutschsprachigen Raum.
  • Im Rahmen einer engen Verknüpfung mit der Hochschule RheinMain werden in Geisenheim rund 1000 Studierende der Fachrichtungen Weinbau und Oenologie, Getränketechnologie, Gartenbau sowie Landschaftsarchitektur von den Mitarbeitern der Forschungsanstalt in Vorlesungen und Übungen mit betreut.
  • Ziel unserer Arbeit ist es, innovative Forschungen in anwendbare Handlungsansätze für die Praxis umzusetzen und anzubieten, um deren Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Die zukünftigen Diplomingenieure, Bachelors und Masters sollen sowohl national als auch international Leitungsfunktionen in den von uns vertretenen Industrien übernehmen können.
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